Yin & Yang (aus der Serie Babel & Bubbles), 2019, Klodin Erb. Courtesy: Klodin Erb, Galerie Urs Meile. Foto: Corrado Ferrari
Klodin Erb nimmt uns im Aargauer Kunsthaus mit, in die Welt hinter den Spiegeln, wo sich Hasen, Raketenglacen und freche Zitronen zu einem fantastischen Sinngefüge verbünden. Wir haben mit der Künstlerin gesprochen.
Klodin Erb: Die Zitrone ist süss und sauer. Hat eine unglaubliche frische Farbe und wurde früher in Stilleben gemalt, um Wohlstand zu demonstrieren. Die Zitrone ist das Meisterstück, wenn sie malerisch gelingt, und eine sinnliche Frucht, die an die Form einer weiblichen Brust erinnert.
Schon Andy Warhol bediente sich der Popkultur. Wenn ich Kunst mache, verwende ich bewusst Elemente, die ein breites Publikum ansprechen, ich lebe ja im Heute und nehme dazu Stellung. Die Verschränkung mit Kunstgeschichte interessiert mich, es ermöglicht mir so eine kulturelle Vergangenheit und verschiedene Zusammenhänge offen zu legen. Gleichzeitig kann ich unterschiedliche Bildungsniveaus abholen.
Hinter den Konventionen können wir uns selbst entdecken.
Ich glaube und fühle grosse Zusammenhänge, grössere als gerne angenommen. Ich denke weniger in Kategorien, sondern in Verbindungen. Grundsätzlich liegt im Verbundenen die Stärke, nicht in der Vereinzelung. Immer.
Mich interessiert nicht unbedingt die Psychoanalyse, sondern das Archetypische. Das tief unter der Schicht liegende, kollektive, instinktive Wissen, das auf vergangene Zeiten und längeres Dasein der Menschheit verweist und auch bewusst gemacht werden soll. Weil das den Menschen Kraft und Mut gibt.
Ich habe eine getaktete Routine. Oft verfolge ich mehrere Projekte gleichzeitig. Meistens beginnt eine Arbeit oder Serie mit einem Gedanken, der sich schon länger eingenistet hat. Das kann ein gesellschaftlicher Impuls, ein altes Gemälde oder schlicht der Wunsch nach sinnlicher Betätigung oder ein Gefühl sein.
Ich habe an Selbstvertrauen gewonnen und konnte plötzlich für mich Kunst und ihre Bedeutung und Möglichkeiten viel klarer formulieren und Hierarchien hinterfragen.
Das war für mich der Ritter*innenschlag. Das Interesse an meiner Arbeit nahm unglaublich schnell zu.
Ich würde sagen, wir befinden uns stets in der Verwandlung, zum Glück. Als einzelne Person, aber auch als Gesellschaften. Nun stehen wir allerdings vor grösseren Fragen, die Weltlage hat sich frappant geändert. Wir werden sehr gefordert auf aussenpolitischer Ebene, wichtige Entscheidungen müssen gefällt werden und gleichzeitig dürfen wir genau jetzt die Achtsamkeit einander gegenüber nicht vergessen und zusammenstehen, luftig und sensibel bleiben, das stärkt.
Klodin Erb. Foto: Lena Amuat
Lange Zeit hat Klodin Erb im Schatten der Aufmerksamkeit des Kunstbetriebs kontinuierlich an ihrem Werk gearbeitet. Seit sie vor drei Jahren mit dem Prix Meret Oppenheim ausgezeichnet wurde, hat sich einiges geändert.
Klodin Erb (*1963) ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Schweizer Künstlerinnen. Sie hat ihre Arbeiten bereits in Einzelausstellungen im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen (2008), im Kunsthaus Biel Centre d’art Bienne (2018) oder im Istituto Svizzero in Rom (2023) präsentiert und mehrere Publikationen haben weitere Aspekte ihrer künstlerischen Arbeit beleuchtet. Seit sie 2022 mit dem Prix Meret Oppenheim ausgezeichnet wurde, erhält ihr Werk endlich die Anerkennung und Sichtbarkeit, die es seit Langem verdient hat. Wie andere Künstlerinnen ihrer Generation, etwa Caroline Bachmann (*1963) oder Valérie Favre (*1959), hat Klodin Erb lange gewartet, bis sie an der Reihe war. Man hätte ihr verziehen, wenn sie der Kunstwelt dieselbe Antwort ins Gesicht geschleudert hätte wie ein junges Krabbenmädchen seiner Mutter in Alice im Wunderland: «Mit dir könnte ja sogar einer Auster die Geduld reissen!» Klodin Erb wartete, bis sie an der Reihe war, ohne je die Geduld zu verlieren, verdoppelte währenddessen ihre Produktivität in ihrem Atelier in Altstetten bei Zürich, in dem sie seit fast fünfzehn Jahren tätig ist, und arbeitete hart, auf dem Boden kniend und von Musik begleitet, an immer monumentaleren Formaten. Dort produziert sie stetig neue Serien, vor Kurzem erst «Leda und der Schwan» (2024), kleine Bilder in blauem Camaieu, die Ovids Metamorphosen neu interpretieren, um die Beziehungen der Geschlechter zu überdenken – aber auch einfach nur, um Spass zu haben.
Die Einzelausstellung im Aargauer Kunsthaus würdigt Klodin Erbs aktuelle Arbeiten und zeigt zum ersten Mal eine Auswahl ihrer vom Minimalismus inspirierten textilen Werke aus den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Damit öffnet sie Zugänge für die Beschäftigung mit sehr aktuellen Fragen: Die Künstlerin fordert uns auf, jenseits der wachsenden Polarisierung der öffentlichen Debatten die Dualismen zu überwinden und die Vielheit alles Möglichen in Betracht zu ziehen. Sie hinterfragt die allgemein akzeptierten, allzu häufig binären Grenzen unseres Denkens, vor allem, indem sie festgelegte Kategorien durchbricht: Gender (Mann / Frau), Generationen (jung / alt), Lebensformen (menschlich / nicht-menschlich), Bewegungszustände (belebt / unbelebt), Wahrnehmungen der Welt (Realität / Mythos). Die Ausstellung geht gesellschaftliche Fragen an und zeigt dem Publikum befreiende Sichtweisen. Von Celine Eidenbenz
AARAU Aargauer Kunsthaus, bis 4. Januar
Himmelfahrt Jasons (aus der Serie venusinfurs), 2022/23. Courtesy: Klodin Erb und Galerie Urs Meile. Foto: Studio Seghrouchni
Titelbild IX, 2017. Courtesy: Klodin Erb und Galerie Urs Meile. Foto: Paola Caputo