«Wir kämpfen für die nächste und übernächste Generation»

Interview:
Monika Hofmann und Marianne Meier
Foto:
Olle Seibold

Pia Sundhage, nachdem sie mit ihrem Klub Jitex den schwedischen Pokal gewonnen hatte 1981.

Pia Sundhage ist Trainerin des Schweizer Frauenfussballteams. Sie hat als schwedische Fussballpionierin die Entwicklung des Frauenfussballs aktiv mitgeprägt. Im Interview spricht sie über den langen Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz und über die Euphorie, die die EM in der Schweiz im Juli entfachen kann.

Pia Sundhage, Sie haben 1975 als 15-jährige Spielerin im schwedischen Nationalteam debütiert. Was ist Ihnen davon in Erinnerung geblieben?

Damals gab es einen Brief als Bestätigung, daran erinnere ich mich gut. Und wie ich meinen Eltern sagte, dass ich nach Göteborg fahre, mit dem Bus. Ich war unglaublich aufgeregt. Ich spielte zwar nicht in der Startaufstellung, aber dafür in der zweiten Halbzeit. Wir haben 2:0 gegen England gewonnen, beide Tore hat Ann Jansson geschossen. Ich war im siebten Himmel.

Bereits 1985 konnten in Schweden die 16 talentiertesten Fussballerinnen das Gymnasium Västerås besuchen und dort Schule und Fussballausbildung gleichzeitig absolvieren. Ein ähnliches Modell kennt die Schweiz mit dem Ausbildungszentrum Huttwil seit 2004. Liefern diese knapp zwanzig Jahre Rückstand in der Förderung von Fussballerinnen eine Erklärung für den Niveauunterschied zwischen dem Frauenfussball in der Schweiz und Schweden?

Ich finde es schwierig, einen einzigen Grund zu nennen. Ich glaube, es geht darum, die Einstellung der Gesellschaft zu verändern, damit ein Mädchen genauso Fussballprofi werden kann wie ein Junge. Da ist in Schweden bereits viel passiert; heute spielt das Geschlecht keine Rolle mehr. Aber natürlich müssen sich auch die Systeme ändern. Die ändern sich nur, wenn mehr Mädchen Fussball spielen – und da war Schweden halt früher dran als die Schweiz.

Der schwedische Verband engagierte 1988 als erstes Land eine Frau als Coach für das Nationalkader. Die erste Schiedsrichterin, die eine FIFA-Finalpartie der Frauen leiten durfte, stammte ebenfalls aus Schweden. Was ist das Erfolgsrezept im schwedischen Frauenfussball?

In Schweden fingen wir früh an mit dem Fussball: 1973, mit der ersten Partie gegen Finnland (0:0). Auch die gesellschaftlichen Geschlechterrollen sind weniger starr: Die Schwedinnen konnten relativ früh in Berufe einsteigen, statt als Hausfrau zu Hause zu bleiben. Zudem gab es viele Vorbilder, neben der Schiedsrichterin Ingrid Jonsson auch die erste Trainerin, Gunilla Paijkull. Da denken sich junge Frauen vielleicht eher: Wenn sie es kann, kann ich es auch.

Im «Sportpanorama» von SRF im Februar 2024 ging es um die Unterstützung der EURO 2025 durch den Bund, der damals nur vier Millionen sprechen wollte. Das stand in krassem Gegensatz zum Männerfussball: Für die Co-Kandidatur der EURO 2008 mit Österreich sprach der Bund rund 82 Millionen Franken. Sie haben dabei gesagt: «Ich bin eine Frau. Ich habe ein Leben lang um Unterstützung und Geld gekämpft. In meiner Generation war das normal.» Nun, fast zwei Generationen später, sind diese Kämpfe immer noch aktuell. Wie lange werden sie noch andauern?

Noch sehr lange. Wir kämpfen nicht nur für unsere Generation, sondern auch für die nächste und übernächste. Einstellungen und Vorurteile zu ändern, ist nicht einfach. Ich denke aber, wir sind auf einem guten Weg. Je mehr Zuschauende an die Spiele kommen, desto grösser wird der Markt und desto mehr Geld fliesst in den Frauenfussball. Die sozialen Medien spielen ebenfalls eine grosse Rolle. Die Informationen werden schneller geteilt und verbreitet. Die WM 2019 in Frankreich war in dieser Hinsicht ein Wendepunkt. Wie seither die Geschichten rund um den Frauenfussball erzählt werden, ist einfach fantastisch. Und wie gesagt, mit der Popularität kommt mehr Geld. Ich bin gespannt.

Die zweite FIFA WM der Frauen fand 1995 erstmals in Schweden statt. Inwiefern hat dieses WM-Turnier den Frauenfussball in Ihrem Heimatland verändert?

So etwas erlebt man nur einmal, so viel Aufmerksamkeit auf einen Schlag. Natürlich kann man das heute mit den sozialen Medien nicht mehr vergleichen. Die WM 1995 war damals ein Meilenstein. Klar, die Entwicklung war schon vorher erkennbar, mit dem Sieg an der Europameisterschaft im Jahr 1984. Dann Silber 1987 in Norwegen. Aber nach der WM 1995 hat der Schwedische Fussballverband den Frauen- und Mädchenfussball anerkannt und damit begonnen, Jugendnationalteams zusammenzustellen. Diese Heim-WM hat einiges in Bewegung gesetzt.

Was, denken Sie, kann die UEFA-EM 2025 in der Schweiz für den Schweizer Frauenfussball bewirken?

Sie könnte den Stein ins Rollen bringen. Ich habe die Heim-EM 2013 in Schweden als Trainerin erlebt, und es war eines der besten Jahre. Wir haben zwar nicht gewonnen, aber wir konnten in den grossen Stadien spielen. Diese Menge an Leuten, die Fans Seite an Seite, alte und junge, alle waren glücklich, und es gab keinerlei Gewalt. Ein einzigartiges Erlebnis für alle, gerade auch für die Spielerinnen.

Seit fast einem Jahr sind Sie nun Trainerin der Schweizerinnen. Wo sehen Sie den grössten Optimierungsbedarf oder die grössten Lücken im Schweizer Frauenfussball?

Dass die Spielerinnen in der höchsten Liga nicht vom Fussball leben können. Ich war ehrlich gesagt überrascht, wie viele in der Schweiz neben dem Fussball noch arbeiten. Ich fühlte mich etliche Jahre zurückversetzt, als es in Schweden auch noch so war. Wenn du Profi bist, ist Zeit der wichtigste Faktor: für die Erholung, die Analyse, die Vorbereitung. Aber Zeit kostet Geld, und dieses Geld ist nötig, um auf höchstem Niveau spielen zu können. Wenn ich als Schweizer Profifussballerin die Wahl hätte, würde ich im Ausland spielen. Auch wenn ich die Schweiz liebe und es das schönste und sauberste Land ist, ich würde gehen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wo würden Sie konkret ansetzen, wenn Sie eine Massnahme für den Schweizer Frauenfussball jetzt durchführen könnten?

Ganz klar die Liga professioneller gestalten. Mit mehr Geld entweder vom Verband oder vom Sponsoring. Denn Frauenfussball ist eine Goldmine.

Das Interview erschien zuerst in «Das Recht zu kicken – Die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs (s. Box)

Pia Sundhage

Aufarbeitung der Geschichte

Während der Männerfussball die Archive der Verbände zum Überquellen bringt, ist die Geschichte des Frauenfussballs weit weniger gut dokumentiert. Die Publikation «Das Recht zu kicken – Die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs» der Historikerin Marianne Meier und der Geschlechterforscherin Monika Hofmann greift das längst überfällige Projekt auf und beleuchtet systematisch die Dimensionen der femininen Fussball-Geschichte. In aufwändigen und tiefgreifenden Recherchen zeichnen die Autorinnen verschiedene Entwicklungsstränge über die letzten hundert Jahre nach, lassen Akteur*innen aus mehreren Generationen zu Wort kommen und thematisieren die institutionellen, rechtlichen und sozialen Aspekte des vermeintlichen Breitensports. Sie zeigen, wie lange und hartnäckig sich Stereotypen, Vorurteile und Sexismus diskursiv halten. Auch hier ist der Fussball ein gesellschaftlicher Spiegel. Seinem inklusiven Selbstanspruch wird der Sport erst allmählich gerecht.

«Das Recht zu kicken – Die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs», Marianne Meier und Monika Hofmann, 2025, Hier + Jetzt