Gina Keller kreiert Atmosphären in Filmen – aus einem Wasserstrahl wird Flammengeflacker.
Unterwegs mit Gina Keller
Die Limmat rauscht, Vögel zwitschern, ein Velofahrer radelt zügig vorbei und in der Ferne bellt ein Hund. Noch ist es ruhig entlang der Limmatpromenade in Baden. Gina Keller ist am liebsten in der Natur, und die Bäderstadt ist ein Teil Heimat für die gebürtige Aargauerin. Die 33-Jährige vertont beruflich Filme. Wer nun an Musik und Dialoge denkt, liegt aber falsch – Keller macht «alles andere», wie sie gerne sagt.
Noch bis im Mai dieses Jahres hat die Sounddesignerin an der Hollywood-Produktion «Jurassic World Rebirth» in den USA mitgearbeitet. Der Film ist im Juli in den Schweizer Kinos angelaufen, Keller war Teil des Sounddesign-Teams. Zusammen haben sie die Dinos im Film vertont. Keller hat vor allem an den Flug- und Wassersauriern gearbeitet: «Dafür wurden unter anderem Geräusche von Seelöwen und Wasservögeln aufgenommen», erklärt die Sounddesignerin. Ihre Aufgabe bestand dann darin, diese Tonaufnahmen im Studio zu ent- oder beschleunigen sowie die Tonlagen zu erhöhen oder vertiefen und miteinander zu vermischen, bis das Brüllen und Knurren der prähistorischen Tiere richtig klingt. Keller blickt auf die Limmat und lächelt: «Ich habe auch viel an den Filmszenen auf dem Wasser gearbeitet.»
Von November 2024 bis Mai 2025 dauerte die Arbeit an der Hollywood-Produktion. Ein straffer Zeitplan: Die meiste Zeit hat die Naturliebhaberin dafür in abgedunkelten Tonstudios am Mischpult verbracht. Zuerst in Kalifornien und zum Schluss noch einen Monat in London. «Es war eine intensive Zeit mit langen Arbeitstagen, aber unglaublich spannend und mit viel Teamwork.» Seit Juni ist Keller nun wieder in der Schweiz und arbeitet bereits an neuen Projekten. Eines davon: Das Gefängnisdrama «Frank & Louis» der Aargauer Regisseurin Petra Volpe. Gedreht wurde der Film hauptsächlich in einem stillgelegten Gefängnis in Shrewsbury in England und sollte 2026 in die Kinos kommen.
Der Jurassic-World-Film ist nicht die erste amerikanische Filmproduktion, an der Keller mitgearbeitet hat. Sie war an der Vertonung des Thrillers «The Novice» oder den Serien «Jerrod Carmichael Reality Show» und «Omnivore» beteiligt. Eines ihrer letzten europäischen Projekte war «Heldin» – ebenfalls ein Film von Petra Volpe über den Spitalalltag einer Krankenpflegerin.
Zwar verbringt die Sounddesignerin viel Zeit in Tonstudios, aber der Gang in die Natur gehört auch zu ihrem Beruf: «Für Tonaufnahmen», sagt Keller und holt ein faustgrosses Tonaufnahmegerät aus ihrer Tasche. Es ist ihr stetiger Begleiter: «Andere haben eine Bibliothek voller Musik und Filme auf dem Laptop, bei mir sind es Tonaufnahmen.» Keller drückt auf den Knopf, dreht an einem Regler und hält das Gerät Richtung Fluss. Nach kurzer Zeit stoppt sie die Aufnahme. Bald ist der Speicherplatz voll. Denn für Keller gibt es überall interessante Tonspuren, die später vielleicht in einem Film zum Einsatz kommen können.
Allerdings stammen die Klänge in Filmen nur selten von der originalen Tonquelle und bestehen meist aus verschiedenen Einzelelementen. «Ein Klassiker sind beispielsweise laut vorbeifliegende Jets: Dieser Ton besteht oft aus Jetgeräuschen vermischt mit dem Brüllen von Raubkatzen.» Auch das Geräusch von Feuer kann zum Beispiel ein Mix aus Fackeln, Flammenwerfer und sogar einem klanglich entfremdeten Wasserstrahl sein. Denn einfache Jet- oder Feuergeräusche treffen die emotionale Komplexität einer Szene nur selten und können deshalb uninteressant wirken, «und das will doch niemand in einem Film hören», sagt Keller und lacht.
Genau dieses Kreieren von neuen Tonspuren fasziniert die Aargauerin an ihrem Beruf. Klänge in Filmen erstellen, das ist eine ganz eigene Kunstform, die viel Kreativität und ein gutes Gehör erfordert. «Bei meiner Arbeit geht es viel ums Experimentieren und um die eigene Intuition, um den perfekten Ton zu finden, das liebe ich», so Keller. Sie setzt sich auf eine Bank direkt am Fluss und steckt ihr Aufnahmegerät wieder weg. In die Filmwelt hat sie das Studium zur Tonmeisterin an der Zürcher Hochschule für Künste ZHDK gebracht. Schon als Kind spielte Keller früh Klavier und begeisterte sich für Musik: «Mich hat der Klang eines Instruments stets mehr interessiert als das Spielen selber.» Während der Studienzeit entdeckte sie dann ihre Liebe zur Filmvertonung: In einem Seminar durfte sie ihren ersten Kurzfilm vertonen. Da öffnete sich eine neue Welt für Keller: «Das Komponieren von Klängen und Tönen im Zusammenhang mit dem Erzählen von Geschichten hat mir sofort gefallen.» Denn Töne und Geräusche sorgen in Filmen für Stimmung und transportieren emotionale Botschaften. Jeder Film hat eine ganz eigene Tonsprache – wer einmal einen Film ohne Ton schaut, merkt sofort, wie wichtig die klangliche Atmosphäre ist.
Es ist die Aufgabe der Sounddesigner, eine stimmige Tonrealität für einen Film zu schaffen. Damit das gelingt, schaut Keller gewisse Szenen viele Male an und feilt an den Details. Bis zu hundert Mal hat sie einzelne Sequenzen im neuesten Jurassic-World-Film gesehen. Doch den ganzen Film hat Keller erst in der Schweiz geschaut: «Und zwar hier im Trafo Baden.» Langsam füllt sich die Limmatpromenade mit Menschen. Zeit, aufzubrechen, Gina Keller muss zurück ins Tonstudio in Zürich und Filmsequenzen ihre Klangspur geben.
Zur Person
Vom Aargau nach Hollywood und wieder zurück: Gina Keller, 33, hat Tonmeister*in an der ZHdK studiert und arbeitet heute an grossen Filmproduktionen mit.