Editorial

Schatten doppelt, Location nice

Von
Michael Hunziker

Viele von Ihnen stecken mittlerweile bestimmt tief in Vorbereitungshandlungen für den jährlichen Ausbruch aus dem Perimeter der Gewohnheit. Für eine kleine Reise, für die lange überfälligen, schwer verdienten Ferien. Allen anderen: viel Glück. Planung ist das halbe Leben.

Wer dem Sommerloch entfliehen möchte, irgendwas Vernünftiges buchen will, muss in dieser Sache für einmal seine Spontanität ablegen und bereits im Frühling (spätestens) das Internet nach schönen Orten durchkämmen. Nun das Problem, es hat sich über die letzten Monate verdichtet: die ganze Onlinewelt scheint dieser Tage keine nicen Locations mehr zu bieten. Überall flimmern uns Unsicherheit, Wut, Protest, Rauch und Eskalation entgegen, welche die Reiselust trüben. Gesperrte Flugräume, schnell änderndes politisches Klima (die doppelte Klimakrise der Demokratie), solche Sachen sind schon Dämpfer. Und eigentlich darf man darauf gar keine Witze mehr machen, auch wenn sich das vielleicht so lesen mag. Ach, dabei sind gerade der Witz, die Heiterkeit, der Nonsens die Hauptzutaten für das Verreisen (ohne sie hielte man die touristischen Zumutungen, von denen man selbst Teil ist, ja gar nicht aus).

Klar, Europa, Westeuropa, also gewisse Teile davon, bleiben valable Optionen für die Sommerauszeit. Aber eben, im Liegestuhl liegt man dann einfach in einem doppelten Schatten: Das Pfefferminzeis und auch der fünfte Spritz werden den Lärm der Gegenwart nicht zum Verstummen bringen. Es ist wie mit nervigen Hotelgästen: Auch hier wird einem die eigene Machtlosigkeit schamlos vor Augen gehalten.

Die andere Option, und nun stellt sich langsam Entspannung ein: Balkonien. Warum sich nicht wieder den Nahraum zurückerobern, ihn mit anderen Augen betrachten (die Biberwildnis an unseren Flussläufen, die Soundlandschaft der Zugvögel, die bei uns gastieren), die Badi im Nachbardorf austesten, das heimische Grillengezeter abfeiern? Und ganz wichtig: offline gehen. Sich wieder mal Ferien im Analogen gönnen. Natürlich kommt hier das AAKU ins Spiel. Eigentlich wollten wir diese Ausgabe laminieren, damit sie mit ins Gummiboot kann, aber die Finanzen …

Zur Handhabung dieser Ausgabe: Sie lässt sich wie ein Reisekatalog lesen. Es geht kreuz und quer durch den Kanton den Festivals nach. Pop und Klassik, Openair-Kinos und Frauenfussball-EM. Deren Motto «Together we rise» liesse sich auch frei als Aufruf zu einer inklusiven, empathischen, hierarchielosen Weltgemeinschaft interpretieren.

Auch wenn Sie nur ein paar Destinationen in diesem AAKU anfliegen, sie werden wie von einer Weltreise zurückkommen (schon nur wegen der Fotografien von Werner Erne im Stadtmuseum Aarau). Zu Ihrem Balkon können Sie dann, wenn sie wieder Online gehen, eine Rezension verfassen: Location nice! Everything, everywhere, all at once and very close by. Und schon klingeln die bisher unbekannten Nachbarn an der Tür.