Editorial

Magisches Denken

Von
Michael Hunziker

Man stelle sich vor, wir vom AAKU würden uns anmassen, in der Wissenschaft der Landwirtschaft mitreden zu wollen. Nur weil wir wissen, dass, wenn die ersten Felder gemäht sind, die ersten Pollenstürme sich gelegt haben und das Wetter allmählich an Sommer denken lässt, wieder Festivalsaison ist. Und weil der Begriff Kultur ja schliesslich seine Wurzeln im Feldanbau, in der Kultivierung hat. Das reicht nicht. Erstens hat die Festivalsaison nicht zwingend mit gemähten Feldern zu tun und zweitens sind Parkbankkenner*innen nicht gleich Finanzexpert*innen, obwohl gewisse Menschen durchaus beides sein können – wir kennen ja alle Geschichten von obdachlosen Bankmanger*innen. Kultur ist wie das Wort Bank eine Art Homonym.

Und wenn wir schon beim dick Auftragen sind: Zusammenhänge zwischen zwei Phänomenen zu sehen, die zufällig gleichzeitig auftreten, wird in der Entwicklungspsychologie unter dem Begriff magisches Denken diskutiert; es ist ein Entwicklungsstadium in Kindesalter. Manche sagen, auch Kulturen in der Frühzeit und im Mittelalter seien stark davon geprägt gewesen und wiederum andere (manchmal auch die gleichen) sagen, dass selbst die Moderne, wenn auch im Schleier der Rationalität, stark davon getrieben ist.

Wir vom AAKU meinen, dass wir einiges, was gerade auf der Weltbühne abläuft, auf magisches Denken zurückführen können. Dieses ist eben nicht bloss süss naiv und verzaubert, sondern kann auch grausame mörderische Auswüchse befeuern, wie etwa Hexenverbrennung, Antisemitismus, Minderheitenjagd. Und niemand ist gefeit davor, selbst zwischen den Dingen magische Zusammenhänge zu sehen.

Abgegraste Felder und Festivals als Ursache und Wirkung zu verstehen, ist etwa ähnlich verwegen, wie zu denken, dass Europa wegen seinen Inklusionsprogrammen zu Grunde geht (hat nicht vor zwei Wochen der ESC das Gegenteil bewiesen?). Oder kürzlich im Zug nach Kiew: Dort machten ein Taschentuch und ein Kaffeerührstäbchen die Regierungschefs Macron, Starmer und Merz zu koksenden Brudis. Propaganda spielt immer auf unsere Schwächen: Zweifel, und eben, magisches Denken.

Minderheiten, wie Migrant*innen, Transpersonen und sozial Benachteiligte werden oft im obigen Sinne als Sündenböcke für die globale Misere, in die uns die Entscheidungsträger* innen hineinreiten, verantwortlich gemacht. Über sie wird staatliche Macht demonstriert, an ihnen werden die Grenzen durchexerziert. Die Humanwissenschaften an Unis kommen unter Druck, Studiengänge werden geschlossen oder zusammengekürzt (nicht nur in Amerika). Den betroffenen Menschen zuzuhören, hilft, Stereotypen abzubauen und komische Kausalzusammenhänge zu dekonstruieren. In diesem Heft kommen fünf jugendliche Personen zu Wort, die über ihre Queerness sprechen. Wie fühlt es für sie an, in dieser Gesellschaft aufzuwachsen? Die Autorin Christina Caprez hat mit ihnen für ihr neues Buch gesprochen. Die Jugendlichen sind Expert*innen ihres eigenen Empfindens. Wer masst sich an, da hineinreden zu wollen?

Nun hat magisches Denken natürlich auch seine Dialektik. Vor allem, wenn es uns wie im Cirqu’-Festival in Aarau zum Staunen bringt. In der Kunst kann es blühen und uns auf neue Ideen bringen.