Schaffte es bereits als junger Erwachsener dank harter Arbeit (und viel Talent) an die grossenKonzerthäuser: Joseph-Maurice Weder.
Unterwegs mit Joseph-Maurice Weder
Ich betrete ein Gebäude der Neuen Kanti Aarau und fühle mich sofort zurückversetzt. Zwar absolvierte ich meine Matura in Zofingen, aber Schule ist Schule – jedenfalls für Aussenstehende, wie ich es seit über 20 Jahren bin. Es ist Freitagnachmittag und nicht mehr viel los. Einzig in der Kantine sitzt eine Schülerin und brütet mit Kopfhörern über einem Text. Ich selbst brauchte damals absolute Ruhe, um zu lernen. Der international bekannte Pianist Joseph-Maurice Weder, den ich in seinem Unterrichtszimmer im dritten Stock treffen werde, wird mir gleich erzählen, dass Musik das Lernvermögen stimulieren könne – zumindest gelte für diejenigen, die selbst ein Musikinstrument spielten, dass sie konzentrationsfähiger seien. Als ich vor seiner Tür stehe, verabschiedet er sich gerade von seinem letzten Klavierschüler des Tages und bietet mir sogleich einen Kaffee an.
Im kleinen Raum stehen zwei Flügel. Derjenige von Steinway gehört Joseph-Maurice. «Ich gebe meinen Schülerinnen und Schülern gern die Möglichkeit, darauf zu spielen. Und wenn ich gerade keinen Unterricht habe, übe ich selbst.» Um sein Niveau zu halten, braucht er täglich zwei bis drei Stunden Klavierzeit. Neben seinem 100-Prozent-Pensum an der Neuen Kanti Aarau ist das viel – im Vergleich zu seinen früheren Tagen, als er an der Musikhochschule studierte und sieben oder mehr Stunden Klavier spielte, jedoch eher wenig. «Weil ich mich weiterhin verbessern möchte, gibt es auch mal sehr intensive Probentage, vor allem, wenn ein Konzert ansteht», so Weder.
Schon früh kam der gebürtige Basler mit seinem Ausnahmetalent in eine Art Hamsterrad, das er aber auch später bewusst nicht verliess: Mit vier sass er zum ersten Mal am Klavier, mit sechs begann er, Schülerkonzerte zu geben, die immer grösser wurden. Mit zehn meisterte er einen ganzen Konzertabend allein und mit zwölf gab er sein erstes bezahltes Konzert in der Tonhalle Zürich vor 1500 Leuten. «Klassische Musik liegt in meiner DNA», sagt er. Er habe als Kind seine Mutter am Piano beobachtet und sei fasziniert gewesen. Sie selbst sei zwar keine Profimusikerin, aber habe viel und gut gespielt. «Ich kann mich noch daran erinnern, dass sie – um mir die Töne näherzubringen – mit farbigen Gummibärchen und Smarties arbeitete, die sie auf die Tasten legte. Leider durfte ich sie nicht alle essen danach», lacht der heute 37-Jährige. Schnell entdeckten seine Eltern das Talent ihres Sohnes und begannen, ihn zu fördern. Von der Musikschule in Basel schaffte er mit zwölf den Sprung an die Hochschule für Musik in Basel, erhielt dort Einzelunterricht bei Professor*innen und ging daneben weiter zur Schule. «Mein Stundenplan wurde an meinen Musikunterricht angepasst.» So fiel beispielsweise das Turnen ganz weg für ihn, weil er sich nicht an den Fingern verletzen durfte. «Ich musste auf vieles verzichten. Machte das aber gern, weil es nicht nur der Druck von aussen war, der mich vorwärtstrug, sondern auch mein eigener Antrieb.» Stundenlang beschäftigte er sich mit ultraschwierigen Passagen, überlegte auch nachts, wie er diese am besten «in die Finger kriegen» konnte. Und an der Musikhochschule wurde er nicht anders behandelt als seine erwachsenen Kommiliton* innen. «Wir mussten die Werke auswendig lernen – erst danach begann das Üben am Klavier. Wer die Noten nicht im Kopf hatte, wurde auch schon mal nach Hause geschickt.» Von vielen als Wunderkind gefeiert, wusste Joseph-Maurice, dass die Welt trotzdem nicht auf ihn gewartet hatte. «Ich war zwar auch international etwas Besonderes, aber eben nicht der einzige Junge mit solcher Musikalität. Vom Stuhl fiel niemand wegen mir.»
Trotz Selbstzweifeln schaffte er es als junger Erwachsener mit harter Arbeit und viel Talent schliesslich in die berühmtesten Konzerthäuser der Welt: Carnegie Hall New York, Berliner Philharmonie, Laeiszhalle Hamburg, Wiener Konzerthaus oder Wigmore Hall London. Den Sprung in diese traditionsreichen Häuser ermöglichte ihm nicht zuletzt der «Swiss Ambassador’s Award», den man ihm im Alter von 25 Jahren überreichte. Agenturen wurden auf ihn aufmerksam. «Der Preis öffnete mir viele Türen.» In seinen Teenagerjahren träumte er davon, von seinen Konzertauftritten leben zu können. Er begann nach seiner Ausbildung an der Musikhochschule damit, neben den Auftritten auch Klavier zu unterrichten und sagt heute, das sei eine gute Entscheidung gewesen: «Seit ich Familie habe, bin ich froh, nicht mehr ständig auf Achse zu sein.» Joseph-Maurice Weder fühlt sich wohl in Aarau, wo er seit acht Jahren mit seiner Frau lebt. Die beiden haben einen zweijährigen Sohn. Neben Konzerten in der Schweiz und Europa reist Joseph-Maurice Weder jedes Jahr für mehrere Wochen nach Südamerika und spielt auch dort vor vollen Rängen. Oft sind es Werke von Chopin, aber bei weitem nicht nur. «Ich mag Chopin, weil man so viel lernen kann von ihm, vor allem, was die Fingerfertigkeit und das sogenannt singende Klavierspiel betrifft.»
Ich bitte Joseph-Maurice, sich für die Bilder ans Klavier zu setzen. Automatisch spielt er ein paar Takte. Nachdem alles im Kasten ist, mache ich mich auf den Heimweg und spaziere durchs mittlerweile menschenleere Kantonsschulgebäude. Es ist vollkommen still – nur die Klaviermusik klingt in meinen Ohren weiter.
ZUR PERSON
Joseph-Maurice Weder (37) spielte mit 10 Jahren vor 1500 Menschen und besuchte als 12-Jähriger die Hochschule für Musik in Basel. Neben seiner Konzerttätigkeit unterrichtet er heute an der Kantonsschule Aarau.
CHOPIN AN PFINGSTEN
Joseph-Maurice Weder eröffnet am Pfingstsamstag das 4. Frick Classics mit seiner «Chopin Soirée». Im abendfüllenden Konzertprogramm wird auch sein Schüler Manuel Jegerlehner zwei Stücke vortragen. Am Sonntag spielt das Alan Klavierquartett unter anderem Schumann und Mahler.
FRICK Ref. Kirche, Sa, 7. Juni, 20 Uhr; So, 8. Juni, 17 Uhr; kulturfrick.ch