Kein Sackgeld, sondern Zukunftsinvestitionen

Interview
Michael Hunziker

«Wollen die kulturelle Teilhabe weiter stärken»: Georg Matter, Leiter Abteilung Kultur Kanton Aargau.

Das Kulturkonzept 2023–2028 ist in trockenen Tüchern. Das zentrale Instrument für die kantonale Kulturförderung hält Ziele für die Zukunft fest. Wir haben uns mit Georg Matter, Leiter Abteilung Kultur, über die zentralen Punkte unterhalten.

Georg Matter, was sind Ihre «Herzensanliegen» in diesem neuen Konzept. Es ist ja das erste unter Ihrer Ägide?

Am wichtigsten ist mir, dass wir Kultur als gesellschaftliche Ressource verankern können. Das wurde auch aus verschiedenen Ecken in Workshops und Befragungen adressiert. Dieses Ziel hat oberste Priorität. Wir müssen uns gesellschaftlich und politisch verstärkt mit der Funktion und dem Potenzial der Kultur als gesellschaftliche Ressource auseinandersetzen. Das kann man heutzutage nicht genug betonen.

Ja, warum denn genau?

Die Pandemie hat uns deutlich vor Augen geführt, wie zentral der persönliche Austausch ist, wie wichtig es ist, sich zu treffen und gemeinsame Interessen zu teilen. Kultur schafft genau solche Plattformen, Diskussions- und Begegnungsräume. Diese sind für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und letztlich für das Funktionieren einer Demokratie von grosser Bedeutung.

Der Wirkungsbericht attestiert dem Kanton in den letzten Jahren punkto Kulturförderung ein gutes Zeugnis. Wo sehen Sie für die nächsten fünf Jahre Potential?

Mit der angesprochenen Kohäsion verbunden, wollen wir die kulturelle Teilhabe weiter stärken. Eine von den grossen gesellschaftlichen Herausforderungen ist die Entwicklung hin zu einer immer heterogeneren Bevölkerung. Jedes Jahr wächst der Aargau um rund 10'000 Personen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen. Kultur spielt eine wichtige Rolle bei der Integration und kann der Fragmentierung der Gesellschaft entgegenwirken. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen Kultur im Aargau mitgestalten können, dass Hindernisse abgebaut und Zugänge geschaffen werden. Menschen aus unterschiedlichen Kontexten müssen sich begegnen können, um zu verhindern, dass sich Polarisierungen aufbauen. Die wertbildende und integrative Kraft der Kultur bietet für die Sicherstellung und Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts deshalb ein zentrales Potenzial. Ein weiterer Fokus liegt auf dem Thema wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Nicht wenige unserer erfolgreichen Kulturinstitutionen laufen finanziell am Limit. Das Kulturschaffen findet oft unter prekären Bedingungen statt. Einerseits liegt das in der Natur der Sache, Kulturakteure sind intrinsisch motiviert und leisten viel mit knappen Ressourcen. Anderseits sind wir als Kulturförderin in der Verantwortung, zur Stabilisierung beizutragen und für gute Rahmenbedingungen zu sorgen.

Wie könnte das gehen?

In dem wir etwa mehrjährige Betriebsbeiträge und Programmbeiträge sprechen, die eine gewisse Planungssicherheit gewähren, oder indem wir zulassen, dass Kulturinstitutionen finanzielle Reserven bilden, um finanzielle Engpässe zu überbrücken. Wir prüfen zudem Massnahmen, welche die soziale Absicherung der Kulturschaffenden verbessern, etwa durch Honorarempfehlungen und durch Sensibilisierung im Bereich Vorsorge.

Ein Handlungsbedarf besteht bei der Klärung der Zuständigkeiten zwischen Swisslos und Kanton. Darüber wird schon länger diskutiert. Wann dürfte dieser Prozess abgeschlossen sein?

Ich gehe davon aus, dass wir innerhalb der nächsten ein bis vier Jahren zu der gewünschten Profilierung der bestehenden Förderstrukturen kommen. Je nachdem, welchen Weg uns die weitere Analyse aufzeigt. Sollte es auf gesetzlicher Ebene Veränderungen brauchen, dann geht es tendenziell länger. Der Wirkungsbericht hat gezeigt, dass die bestehende Förderstruktur an sich gut ist (Kuratorium, Swisslos und Beiträge der Abteilung Kultur). Grundsätzlich unterstützen wir über diese drei Fördergefässe kulturelle Inhalte, Sonderprojekte und die betriebliche Grundversorgung. Da die Kulturfördermittel in den Jahren 2010-2022 quasi stagnierten, hat sich das Zusammenspiel der Fördergefässe etwas verwischt. Unsere Aufgabe ist nun, diese Ausgangslage genau zu analysieren und zu optimieren. Mit der Klärung können wir gegenüber dem Parlament den Mittelbedarf klarer kommunizieren.

Stichwort Mittel: Bei den Pro-Kopf-Ausgaben liegt der Aargau im kantonalen Vergleich auf Platz 21. Wie erklären Sie sich das? Will der Grosse Rat nicht in Kultur investieren?

Ja, wir befinden uns bei den Pro-Kopf-Ausgaben im hinteren Drittel. Das kann man nicht schönreden. Während im Aargau die Kulturausgaben in den letzten Jahren stagnierten, haben andere Kantone zwischenzeitlich mehr investiert. Aber wenn Sie implizieren, der Grosse Rat stehe nicht hinter den Zielen der Kultur, dann muss ich Ihnen widersprechen. Die Stagnation hat ihre Ursache vor allem in der finanziellen Situation des Kantons, der 2014 ein umfassendes Sparprogramm startete. In sämtlichen Verwaltungsbereichen musste man auf die Bremse treten. Jetzt kommen wir aus dieser Delle allmählich heraus und schon wartet womöglich das nächste Problem...

Das wäre?

Die allgemeine Finanzlage mit einer hohen Inflation, die angeschlagene Weltwirtschaft. Die Nationalbank wird dieses Jahr keine Ausschüttungen an die Kantone machen können. Letztes Jahr waren das für den Aargau 319 Millionen Franken.

Im Rahmen der Budgetdebatte 2023 hat die bürgerliche Mehrheit im Aargauer Parlament bescheidene Erhöhungen des Kulturbudgets (1.1%) abgelehnt. So wurde den Kulturschaffenden quasi der Teuerungsausgleich verweigert. Welche Auswirkungen wird dieser Entscheid haben?

Die Argumente der Politiker*innen kann ich ein stückweit nachvollziehen. Der Wirkungsbericht hat aufgezeigt, dass wir die Aufgaben innerhalb der Förderstrukturen klären müssen. Einige Parteien wollen diesen Prozess erst abwarten, bevor über signifikantere Erhöhungen des Kulturbudgets entschieden wird. Für die Zukunft bin ich aber durchaus zuversichtlich. Aber zu ihrer Frage: In der Tat – der Status Quo wird auch im 2023 trotz Teuerung vorerst leider fortgesetzt. Das bekommen die Kulturschaffenden und die Kulturinstitutionen zu spüren, die weiterhin mit sehr bescheidenen Mitteln ein Top-Angebot auf die Beine stellen müssen.

Dabei hätte jeder in die Kultur investierte Franken eine grosse Wertschöpfung.

Ja, und unsere Aufgabe ist es, das bei den verschiedenen politischen Anspruchsgruppen besser zu kommunizieren. Investitionen in die Kultur sind ja nicht irgendein Sackgeld, sondern generieren Wert, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Sie tragen zur Lebensqualität und zur Standortförderung bei, helfen demografische Entwicklungen, wie Segregation und Brain Drain, abzufedern. Eine inzwischen schon etwas ältere Studie von 2015 für die Stadt Zürich hat zudem dargelegt, dass jeder in die Kultur investierte Franken eine Wertschöpfung von 50 Rappen ausserhalb der Kulturbranche generiert. Wir sollten im Aargau auch eine Studie in Auftrag geben, um das Bewusstsein für diesen Aspekt zu erhöhen.

Das Kulturkonzept sieht vor, die private Kulturförderung auszubauen. Wie kann man sich das im Aargau vorstellen, der keine Mäzen*innentradition hat?

Einerseits gilt es, das, was an potenziellen privaten Kulturförderungsstrukturen vorhanden ist, durch ein professionelleres Fundraising optimal zu nutzen. Wir müssen den Privaten aufzeigen, wie sinnhaft ein kulturelles Engagement sein kann. Auch themenübergreifende Kooperationen mit Partner*innen aus dem Bereich Umwelt, Natur und Tourismus haben Potenzial. Aber klar, der Aufbau neuer Strukturen und die Optimierung der dafür benötigten Rahmenbedingungen sind langfristige Vorhaben.

Die Abteilung Kultur wird im Kulturkonzept zu einem zentralen Akteur: Sie initiiert, bringt zusammen, fördert, will ermöglichen. Gleichzeitig ist sie abhängig vom parlamentarischen Willen. Öffnet sich da nicht ein Interessenkonflikt?

Nein, das ist unsere Rolle. Wir vertreten den politischen Willen und gleichzeitig die Interessen der Kulturbetriebe; darüber hinaus sind wir selbst auch Kulturakteurin mit den verschiedenen kantonalen Institutionen. Die Abteilung Kultur ist ein Relais zwischen politischer Entscheidungsebene und der Kulturlandschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass auf beiden Seiten Impulse ankommen. Wir verstehen uns als Botschafterin und Vermittlerin. Das Kulturkonzept ist dabei ein ideales Kommunikationsmittel, über das wir eine gemeinsame Verständigung finden können. Wir müssen über Kultur reden, nur so entsteht das Bewusstsein dafür, wie relevant sie letztlich für uns alle ist.

Nachgefragt bei Politik und Kulturverbänden

Gefordert wäre eine bescheide Erhöhung der Kulturgelder gewesen: Keine einzige Stimme aus dem bürgerlichen Lager hat den Antrag bei der Budgetdebatte im Grossen Rat unterstützt. Geschlossen haben SVP, FDP und Mitte dagegen gestimmt. Wir wollten wissen, warum: Stehen sie etwa nicht hinter den Aargauer Kulturinstitutionen und den Kulturschaffenden? Was halten sie vom Kulturkonzept? Wie ist das bei den Verbänden und der SP angekommen? Entscheiden Sie selbst, wie die Statements ins Bild passen…

«Das neue Kulturkonzept wurde dem Grossen Rat Ende November 22 vorgelegt, just während der Budgetdebatte. Da die Vorberatungen in den Kommissionen bereits ab Mitte Oktober stattfanden, wurden die Zielsetzungen nicht in die Beratung einbezogen. Die FDP Aargau begrüsst, dass der Kanton seiner Kulturpolitik ein strategisches Instrument zugrunde legt. Wir werden uns mit den Vorschlägen eingehend befassen und uns konstruktiv einbringen. Bei der Beratung des Aufgabenbereichs Kultur stellte Linksgrün Anträge auf Erhöhung, die SVP auf Kürzung. Die FDP folgte durchwegs den Empfehlungen des Regierungsrats.»

Sabina Freiermuth, Grossrätin und Parteipräsidentin FDP Aargau

«Das neue Kulturkonzept benennt entscheidende Begriffe, wie Stabilität, kulturelle Teilhabe, Kultur als Ressource. Sie sind in vielen Kulturinstitutionen bereits integrale Bestandteile ihrer Angebote. Um die gesellschaftliche Relevanz der Kultur glaubhaft sichtbar zu machen, braucht es einen entschlossenen politischen Willen zur Kultur. Nur ein gemeinsames JA zur Kultur, das auch finanziell abgestützt ist, wird die kulturellen Potenziale aufzeigen können.»

Brigitta Luisa Merki, Vorstand Verein kulturaktiv Baden

«Besonders bemerkenswert im neuen Kulturkonzept ist gleich das erste Ziel, «Kultur als relevante gesellschaftliche Ressource» zu verankern, da sie elementar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftlich relevant sei. Und mit dem dritten Ziel soll gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch die «Stabilität und Nachhaltigkeit» von Kultur ermöglicht werden. Dies sind erfreuliche und dringend notwendige Signale. Sie sind allerdings sind nicht gratis zu haben. Wer das identitätsstiftende, wirtschaftliche und touristische Potential von Kultur ausschöpfen und als «Kulturkanton» in Erscheinung treten möchte, für den ist eine Erhöhung der Kulturgelder gut investiertes Kapital.»

Michael Schneider, Geschäftsführer Aargauischer Kulturverband

«In Anbetracht des aktuellen finanziellen Korsetts des Kantons und im Wissen, dass das Kulturkonzept in Bearbeitung ist, hatte die Mitte-Fraktion bei der aktuellen Beratung keine Erhöhung unterstützt. Die Mitte lehnte aber auch jegliche Kürzungen klar ab. Wir wollen auf keinen Fall zum Kultur-Schlusslicht der Kantone degradiert werden. Der einmaligen Kürzung zum Kunsthaus wurde aufgrund der Aussage des Regierungsrates zugestimmt. Wenn gute Kulturförderung gemacht werden soll, wenn der Kanton ein ernsthaftes Bekenntnis machen will, braucht es mehr finanzielle Mittel.»

Jürg Baur, Grossrat und Parteivorstand Die Mitte Aargau

«Die Kultur leistet einen grossen identitätsstiftenden Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Dieser Wert soll im aktiven Dialog mit der Politik noch konkreter gelebt werden. Ich bin überzeugt, wenn die Vielfalt der Angebote, die Qualität, die wirtschaftlichen Leistungen noch sichtbarer und erlebbar sind, werden die bürgerlichen Parteien weniger bis keine Kürzungen mehr im Budget vornehmen. Die neuen kulturpolitischen Ziele helfen und tragen dazu bei, unseren Kulturkanton zu stärken.»

Simona Brizzi, Grossrätin SP Aargau