Der Vorstand von Visarte Aargau. zvg
Von der GSMBA Sektion Aargau zur heutigen Visarte Aargau – Gedanken zum 120-Jahre-Jubiläum von Susanna Perin.
Das Gründungsprotokoll ist verlorengegangen, als «Trophäe» aus dem Protokollbuch 1904 bis 1905 herausgerissen. Laut Bericht der Delegiertenversammlung der GSMBA Schweiz wird der «Verein der Aargauer Künstler» 1905 als neue Sektion der GSMBA aufgenommen. GSMBA steht für Gesellschaft Schweizer Maler, Bildhauer und Architekten. Die männliche Schreibweise ist korrekt, denn zu jenem Zeitpunkt und bis 1972 wurden Künstlerinnen nicht zugelassen.
Die Geschichte der neuen Sektion steht für die aargauische Kunstund Kulturpolitik im 20. Jahrhundert. Zu Beginn war der Zweck des Verbands die Organisation von Ausstellungen, später setzte er sich für die Kunst im öffentlichen Raum ein. Ab 1907 richtete der Kanton einen jährlichen Kunstkredit zur «Unterstützung der Aargauischen Kunst» ein. Auch der Kunstverein tätigte Ankäufe. So entstand nach und nach die aargauische Kunstsammlung, deren Konservator Guido Fischer wurde. Er bekleidete dieses Amt während 20 Jahren ehrenamtlich und war gleichzeitig Präsident der GSMBA, zuerst in der Sektion Aargau, dann auf nationaler Ebene. Die enge Zusammenarbeit zwischen der GSMBA und der aargauischen Kunstsammlung führte schliesslich zur Gründung des Aargauer Kunsthauses, das 1959 eröffnete und dessen Leiter Guido Fischer wurde.
In den bewegten 1960er- und 1970er-Jahre geriet die Sektion Aargau in Verruf. «Progressive Kreise machen ihr den traditionellen Kunstbegriff und die sture und konservative Haltung zum Vorwurf», schreibt Stephan Kunz in der Jubiläumsschrift von 1985. Aus heutiger Sicht liegt die Vermutung nahe, dass die alten Künstlerfürsten um ihre Privilegien fürchteten. So, wie sie lange Zeit Künstlerinnen ausschlossen, liessen sie auch junge, innovative Künstler nicht zu.
Aus der GSMBA ging 2001 Visarte hervor. Anlass für die Neugründung auf nationaler Ebene mit neuem Namen, Statuten und Auftritt, war der Wunsch nach mehr kulturpolitischem Engagement und nach einer Professionalisierung der Verbandsarbeit. «Mit der Neugründung von Visarte verstand ich besser, wofür der Kunstverband stehen könnte, und ich traute mich, proaktiv im Vorstand Projekte zu realisieren. So wurde Visarte Aargau zu den aktivsten Gruppen mit eigenem Ausstellungsraum und Projekten.» So beschreibt Sadhyo Niederberger, damals Vorstandsmitglied, später Präsidentin, den Wandel hin zu einer überregional bestens vernetzten Visarte Aargau.
In den 120 Jahren seines Bestehens hat sich der Verband neu positioniert und erfunden. Eine weitere wichtige Konstante ist die Vertretung der bildenden Kunstschaffenden auf kulturpolitischer Ebene, der Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen und für soziale Sicherheit. Mitglieder haben Zugang zu Taggeld- und Pensionskasse und zum Unterstützungsfond. Im Jahr 2016 hat Visarte einen Honorarleitfaden für die Arbeit der Kunstschaffenden erlassen, denn ohne Lohn gibt es keine soziale Sicherheit. Nur rund fünf Prozent der Kunstschaffenden lebt von der Kunst. Die anderen finanzieren sich und ihre künstlerische Arbeit durch weitere, oft unsichere Jobs.
Dem veränderten und erweiterten Kunstbegriff wird Rechnung getragen, das Berufsbild erweitert sich, seit 2015 sind auch freie Kuratorinnen und Kuratoren zugelassen. Visarte kann vermutlich bald von einem Berufsverband für die visuelle Kunst sprechen, bemüht, die Werte in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Neue Herausforderungen kommen auf den Verband zu: die Digitalisierung, KI und damit verknüpft Fragen zu Transparenz und Autor*innenschaft. Die Dringlichkeit der Diversität widerspiegelt sich in der aktuellen Mitgliederzusammensetzung.
In der heutigen instabilen politischen Lage ist der Verband als wichtiger Pfeiler für die Werte der Kunst, der Kultur und des Miteinanders zu verstehen.
JUBILÄUMSFEIER
AARAU, BRUGG, BADEN Div. Orte, Fr, 23. Mai. Programm: visarte-aargau.ch