Hollywoods Schattenseiten

Interview
Michael Hunziker
Fotos
Carlos Leal

Fearless, 2025

Er prägte mit Sens Unik den Hip-Hop der 90er-Jahre, spielte in Filmen an der Seite von Daniel Craig, Al Pacino oder Mark Wahlberg: Carlos Leal. Die Galerie 94 in Baden zeigt mit «Visibility and Humanity» Fotografien des Lausanner Weltbürgers.

Für die meisten von uns bist du als Rapper und Schauspieler bekannt. Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Carlos Leal: Ich habe Fotografie schon immer geliebt. Als Teenager ging ich regelmässig ins Fotomuseum «Musée de l’Élysée» in Lausanne. Aber erst als Covid die Filmstudios in L.A. und fast überall auf der Welt lahmlegte, habe ich den nächsten Schritt gewagt. Für mich war es zu schwer, als Künstler nicht mehr kreativ zu sein, also habe ich mir eine gute Kamera gekauft und bin jeden Tag durch die Strassen von Los Angeles gegangen, um die unbekannten Seiten dieser Stadt zu fotografieren.

Wann hast du angefangen, deine Fotoarbeit Ernst zu nehmen?

Zuerst wollte ich einfach nur fotografieren können und unabhängig sein. Als Schauspieler bist du von so vielen Leuten abhängig. Als Fotograf liegt alles an dir selbst. Du musst dich entschliessen, rausgehen und fotografieren. Das gab mir die Möglichkeit zurück, allein kreativ zu sein und meine Sichtweise und meinen künstlerischen Standpunkt zur Welt einzubringen. Das hatte ich als Schauspieler verloren, denn dort habe ich ja den Standpunkt eines anderen zu vertreten. Als ich merkte, dass die Leute meine Arbeit mochten, dachte ich mir, warum versuche ich nicht, sie in einer Galerie auszustellen? Aber für mich ist das Wichtigste beim Fotografieren nicht, wie viel Geld man mit dem Verkauf seiner Bilder verdient, sondern, wie ernst man seine Kunst nimmt.

Man könnte deine Fotokunst als formal und realistisch zugleich charakterisieren. Kannst du deinen Ansatz etwas beschreiben?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich Ästhetik nicht mag. Aber als ehemaliger Rapper möchte ich, dass meine fotografischen Arbeiten einen Einfluss auf die Welt haben und daher «sozial» oder «politisch» engagiert sind. Ich habe meinen persönlichen Stil gefunden, indem ich die Welt und manchmal auch ihre sehr harte Seite auf ästhetische Weise zeige. Ich liebe es, wenn meine Bilder wie Gemälde aussehen, weil sie das Auge des Betrachters anziehen und dieser dann plötzlich erkennt, dass es sich nicht um ein Gemälde handelt, sondern um die Realität.

Deine Arbeiten zeigen das Leben der Menschen im Schatten des amerikanischen Traums. Wie hat sich diese Perspektive entwickelt?

Als Schweizer Schauspieler, der seit vielen Jahren den Hollywood-Traum lebt, wollte ich die andere Seite dieser Fantasie zeigen. Hollywood ist eine Propagandamaschine, die die Welt glauben macht, es sei ein fantastischer Ort. Die Realität sieht ganz anders aus, und als ehemaliger Rapper fühlte ich mich verpflichtet, diese Seite von L.A. zu zeigen, die Seite der vergessenen und sozial ausgegrenzten Menschen. Ein realistischeres Gesicht Amerikas.

Welche Begegnungen hattest du mit den «stimmlosen» Menschen auf der Strasse?

Zunächst einmal habe ich mir immer geschworen, ihre Gesichter nicht zu zeigen. Ich möchte niemanden mit einem Label versehen und sagen: Er ist obdachlos und das war's. Im Gegenteil, die Menschen haben noch Hoffnung, von der Strasse wegzukommen. Wenn ich Porträts von ihnen gemacht habe, habe ich sie immer bezahlt und war transparent in Bezug auf das Thema meiner Arbeit. Ich möchte sie nicht benutzen, um mich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Menschen zu respektieren ist für mich eine Verpflichtung, besonders wenn sie nichts mehr haben ausser ihrer Hoffnung und ihrem Überlebenswillen. Ich arbeite derzeit an einem Buch, um diese Menschen zu würdigen.

Wie erlebst du als Künstler die aktuelle Situation in Amerika?

Seit Trump hat sich die amerikanische «Freiheit» völlig verändert. Wir müssen uns wirklich bewusst machen, dass die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit in den USA immer mehr eingeschränkt wird. Das ist auch einer der Gründe, warum ich zurück nach Europa gezogen bin. Aber ich werde immer Systeme bekämpfen, in denen die Meinungsfreiheit in Gefahr ist.

Das wäre meine Anschlussfrage: Weshalb bist du von Los Angeles weggezogen und wieder in die Schweiz zurückgekehrt?

Aus politischen, kulturellen, menschlichen und familiären Gründen. Ich habe einen kleinen Teil meines persönlichen amerikanischen Traums gelebt, aber ich bin zu 100 % Europäer und es war Zeit für mich, zurückzukehren.

An welchen Themen arbeitest du derzeit?

Ich arbeite an einer neuen Serie für die Ausstellung in der Galerie 94. Die Ausstellung wird von Sascha Laue, meiner Galeristin Nicole Python und mir selbst kuratiert. Ich bin total aufgeregt, weil ich die Galerie 94 und alle Künstler, die hier ausgestellt wurden, wirklich liebe.


The red slum princess, 2025

Sozial und politisch engagierte Fotografie: Carlos Leal

ZUR PERSON

Carlos Leal, 1969 in Lausanne geboren, ist Musiker, Schauspieler und Fotograf. Als Frontmann von Sens Unik wurde er bekannt, später spielte er in internationalen Filmproduktionen. Seit 2020 widmet er sich intensiv der Fotografie und stellt international aus.

BADEN Galerie 94, Mi, 14. Januar, 18.30 Uhr; bis 28. Februar

Carlos Leal

14. Januar 2026 – 28. Februar 2026

Die genauen Öffnungszeiten finden sie auf der Website des Veranstalters