Eine Ungleichheit im System

Von
Michael Hunziker

Wilma Theiler

Wie funktioniert ein Leben in Armut in der Schweiz? Die Bühne Aarau inszeniert mit sieben Expert*innen ein partizipatives Theatererlebnis. «Monopoly» gewährt Einblicke in ein tabubehaftetes Thema.

Das Spiel «Monopoly» kennen wohl alle aus eigener Erfahrung. Vielleicht ist es gerade deshalb so spassig und erfolgreich, weil es treffende Analogien auf die Wirklichkeit zulässt. In mindestens einem Punkt übertrifft das echte Leben aber punkto Drastik die Gesetze des Spiels: Während im Spiel alle mit dem gleichen Startkapital loslegen, beginnt in der Realität das Leben bereits sehr ungleich – die Lotterie der Geburt. Bei manchen reisst bereits ein Kino- oder Restaurantbesuch ein Loch in die Kasse, bei anderen wächst das Vermögen selbst dann, wenn sie auf einer Yacht im Mittelmeer die Seele baumeln lassen.

Armut in der Schweiz ist nicht offensichtlich und schon gar nicht selbstverschuldet. Sie ist versteckt und veerbt, wird beschwiegen und bestritten. In einem der reichsten Länder der Welt ist sie, vielleicht mehr denn anderswo, ein Tabu. Die beiden Regisseur*innen Jonas Egloff und Rebekka Bangerter haben in ihrem partizipativen Theaterprojekt Expert*innen eingeladen, um mit ihnen das Thema auf die Bühne zu bringen und mit theatralischen Mitteln zu verhandeln. Sieben Menschen, die geringe Kontostände nur zu gut kennen und gezwungenermassen Profis in der Kunst des Überlebens sind, fächern das Thema differenziert auf, geben ihm einen humoristischen, aber auch dramatischen Dreh. Sieben Perspektiven gewähren Einblick in den täglichen Kampf, in die Schikanierungen, in die Rückschläge: alleinerziehend, obdachlos, arm im Alter, arm in der Kindheit, verschuldet oder auf der Flucht. Die Inszenierung spielt mit den klassischen Grenzen zwischen Publikum und Darstellenden – letztlich ist auch Armut ein Phänomen, das keine Grenzen kennt und alle betreffen kann. Hingehen, hinhören, mitdenken! 

Wilma Theiler

Wohnungsnot thematisieren

Wilma Neumann (71), Spreitenbach

Ich bin zwar selbst nicht betroffen von Armut. Mit meiner Pensionskasse und der AHV könnte ich durchkommen. Meine persönliche Lage ist die: Ich bin Musikerin und wohne in einem ehemaligen Pfarrhaus, das abgebrochen wird. Da heutzutage viel kleinere Wohnungen teurer sind, als das Haus, in dem ich wohne, müsste ich nach einem Umzug meine Instrumente weggeben und meinen Beruf aufgeben. Ich wollte schon immer einmal in einem Theater mitwirken. So stiess ich auf das Projekt «Monopoly». Weil mein Vater und seine Eltern in bitterer Armut aufgewachsen sind, hat mich das Thema schon immer beschäftigt. Wohnungsnot und Wohnungsknappheit zu verbalisieren wird in der Schweiz immer dringender. Mir ist es ein Anliegen, dass das Publikum das mitnimmt.

Armut ist kein Versagen

Gihad Salim (33), Widen

Ich habe durch meine eigene Erfahrung, die ich in meinem Leben gemacht habe, oder durch die Menschen, die ich kenne, zur Genüge gesehen, wie jemand mit begrenzten Ressourcen lebt. Und diese Möglichkeiten bringen nur Angst und Unsicherheit mit sich, also Schwierigkeiten bei dem, was man sich wünscht. Das weckt meine Leidenschaft, darüber zu sprechen. Ich spiele seit meiner Kindheit Theater und es ist toll, hier in «Monopoly» mitzuwirken. Da ich in verschiedenen Ländern gelebt habe, wie Syrien, Irak, Türkei, Libanon, Bulgarien und Serbien, bietet «Monopoly » eine Gelegenheit, das, was ich erlebt habe, auf der Theaterbühne auszudrücken. Mir ist es wichtig, dass das Publikum Armut nicht als Versagen betrachtet, sondern dass es oft eine Ungleichheit im System ist.

Wissen, was Armut heisst

Hortensia Karli (71), Villigen

Weil ich aus einem armen Elternhaus komme, weiss ich genau, was Armut heisst. Auch wenn es mir heute gut geht, beschäftigt mich das Thema noch immer sehr. Daher mache ich auch beim Stück mit. Ich möchte dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft mehr über Armut bewusst wird. Denn es gibt in der Schweiz mehr armutsbetroffene Leute, als angenommen wird. Ich wünsche mir, dass unser Publikum nach der Vorstellung hinausgeht und es das Thema beschäftigt. Es soll rattern in den Köpfen!

Widersprüche aufzeigen

Philippe Béchir (63), Erlinsbach

Im Stück übernehme ich die Rolle eines Betroffenen, der nach einer gescheiterten Selbstständigkeit und persönlichen Schwierigkeiten schliesslich wegen eines Hirntumors endgültig in die Armut abrutscht. Zufällig gibt es diese Themen in meiner realen Familiengeschichte auch. Mich fasziniert der Ansatz des Ensembles der Bühne Aarau, ein Thema aufzugreifen und gemeinsam mit den Betroffenen ein Stück zu entwickeln. Mit diesen Schicksalsgeschichten bringen wir das Thema Armut differenziert auf die Bühne, denn nach wie vor ist Armut in der Schweiz ein Tabu. Man sagt schnell, die Leute seien faul und nicht selbstverantwortlich. Das Stück zeigt aber deutlich den Widerspruch auf zwischen angeblichem Sozialschmarotzertum und einem oft versagenden Sozialsystem.

Monopoly

Samstag, 10. Mai 2025

20:00 – 21:15 Uhr
Alte Reithalle
Aarau

Sonntag, 11. Mai 2025

17:00 – 18:15 Uhr
Alte Reithalle
Aarau

Dienstag, 13. Mai 2025

20:00 – 21:15 Uhr
Alte Reithalle
Aarau

Mittwoch, 14. Mai 2025

20:00 – 21:15 Uhr
Alte Reithalle
Aarau