Unterwegs

Eine emotionale Reise

Text und Foto
Tania Lienhard

Anglizistin, Trip-Hop-Pionierin und Solokünstlerin: Annakin.

Unterwegs mit Annakin

Seit Tagen schon schwirrt das immer gleiche Lied in meinem Kopf herum. Und versetzt mich damit fünfzehn Jahre zurück in eine intensive Lebensphase mit emotionalen Höhen und vielen Tiefen. Damals hatte mir jemand eine selbstgebrannte CD geschenkt – mit ebendiesem Song drauf: «The Trooper» von Annakin. Der Track ging direkt in meinen Körper und verweilte in jeder meiner Zellen. Die vertraute Melodie ist gerade jetzt wieder so präsent, weil ich die Sängerin aus Baden in einer halben Stunde für ein Interview treffen werde. Darauf freue ich mich.
Ich bin etwas früh dran und setze mich schon mal in der Bar «Ziegel Oh Lac» auf dem Areal der Roten Fabrik an einen Tisch. Annakin – mit bürgerlichem Namen Ann Kathrin Lüthi – hat diesen Ort als Treffpunkt gewählt. Auch sie reist mit vielen Erinnerungen an, wie sie mir schon per Mail mitgeteilt hat. Hier war sie als Teenagerin oft an Konzerten. Und hier hatte sie später selbst Auftritte. Welcher Ort könnte passender sein? Ich muss nicht lange auf Annakin warten. Auch sie ist ein paar Minuten zu früh. Gleich nach dem Bestellen der Getränke erzähle ich ihr von meiner Erstbegegnung mit ihrer Musik. «Das freut mich sehr! Und erinnert mich an Gespräche mit Menschen, die mir anvertrauten, dass meine neuste Platte «Cocoon» ihnen viel Kraft gegeben hat.» Das liege wohl auch daran, dass ein Kokon Schutz biete und ihre Musik im übertragenen Sinn auch irgendwie, sagt sie weiter. Ich kann mir gut vorstellen, wie die atmosphärischen Trip-Hop-Klänge den Hörer*innen in einer schwierigen Phase beistehen können.
Obwohl wir aus unterschiedlichen Welten stammen und uns im «normalen Leben» wahrscheinlich nicht über den Weg gelaufen wären, merke ich bald, dass wir ähnliche Werte teilen. Nicht zuletzt deswegen entwickelt sich ein schönes Gespräch. Annakin erzählt mir, dass sie schon als Kind musikalisch gewesen sei, und dass lange vor dem Gesang die Instrumente eine wichtige Rolle für sie gespielt hätten. Weil aber der Gitarrenlehrer nur Jungs gefördert habe und sie so nicht weitergekommen sei, habe sie sich vieles selbst beigebracht – damals natürlich ohne die Möglichkeit von Youtube-Tutorials. «Mit zwölf begann ich dann, im Zimmer die Lieder aus der Hitparade mitzusingen», sagt Annakin und nimmt einen Schluck von ihrem heissen Tee.
Als junge Frau, wie sie weiter berichtet, habe sie ein Jahr in den USA verbracht und dort eine Band gegründet, mit der sie dann in Coffee-Shops aufgetreten sei. Wieder zurück in der Schweiz habe sich Marco Neeser, einer ihrer Freunde und späteres Gründungsmitglied der Band Swandive, eine Kassette davon angehört. «Und der meinte, dass da Sinéad O’Connor singt!», erinnert sich Annakin. Ausgerechnet Sinéad O’Connor – ihre Heldin, ihr Vorbild seit Jugendtagen. Die Sinéad O’Connor, der sie später, 1997, am Paléo Festival in Nyon eine CD ihrer Band Swandive würde übergeben können.
Genau wie die Irin zu Lebzeiten, weiss auch Annakin, was sie will und setzt sich hartnäckig für ihre Ziele ein. Sehr gerne wäre die Aargauerin aufs Konservatorium gegangen – Angebote, wie es sie heute für angehende Musikschaffende gibt, waren damals in der Schweiz noch nicht vorhanden. Aber sie wurde abgelehnt – passte nicht ins Klassik-Schema. Also nahm sie privat Gesangs-Unterricht bei einer Opernsängerin und lernte, während des Singens richtig zu atmen. Ihre erste Solo-CD gab Annakin 2007 heraus. Da hatte sie den Uni-Abschluss in Anglistik schon eine Weile in der Tasche. Dieses und zwei weitere Alben liess sie von Jonathan Buchanan produzieren – eine Koryphäe auf seinem Gebiet. «Ich recherchierte, wo meine Lieblingsplatten produziert worden waren und fand heraus, dass das immer gleiche britische Produzenten-Konglomerat dahintersteckte. Ich meldete mich dort und durch meine Beharrlichkeit hatte ich Erfolg: Sie nahmen mich als Sängerin auf.» Seither arbeitete sie immer wieder mit namhaften Persönlichkeiten aus der Branche zusammen. Zum Beispiel aktuell mit Ed Harcourt, dem berühmten Singer-Songwriter aus Grossbritannien, mit dem sie die letzten Alben produzierte.
Seit 16 Jahren schon setzt Annakin voll auf die Karte Musik. «Ich bin stolz auf meine lange, erfolgreiche Karriere», sagt sie. Die Badenerin ist nicht «nur» eine Sängerin, sie ist eine Künstlerin, legt auf Visuelles ebenso viel Wert wie auf Akustisches. Die acht veröffentlichten Platten zieren aufwändige Cover, auf denen stets sie selbst in oft ausgefallenen Kostümen zu sehen ist. «Es war und ist nicht immer einfach, in diesem Business zu überleben», sagt Annakin, die viel Wert auf Texte mit Tiefgang legt. «Ich bin keiner Agentur angeschlossen, mache alles selbst.» Auf diese Weise könne sie sich ihre Unabhängigkeit bewahren. Trotz diversen Herausforderungen beklagt sich Annakin nicht. Sie kann sich behaupten, weil sie einfach gut ist – und versucht, innovativ zu sein. «Dazu gehört sicher auch die thematische Reihe ,Voices from’». Am 12. März in Baden geht dieses Musikerlebnis zum zweiten Mal über die Bühne. «Das Motto ist ,The Wasteland – Garbage’. Ich covere Songs, die «Abfall» in vielerlei Hinsicht thematisieren, ich erzähle die Geschichten hinter diesen Liedern, werde auch einige meiner Songs vortragen. Und eine Angestellte der Müllabfuhr erhält ebenso das Wort wie Ed Harcourt, mein Produzent.» Aber auch Annakin wird ihre Gedanken zum Thema aussprechen. Es ist eine Eventreihe, die zu ihr passt: Viel Tiefgang, aber ohne Fingerzeig.

Zur Person

Ein Leben im Zeichen der Musik: Annakin aka Ann Kathrin Lüthi (*1975) war bis 2002 Sängerin der Trip-Hop-Band Swandive. Seit 2007 hat sie sieben Soloalben veröffentlich.

BADEN Stanzerei, Mi, 12. März, 20.15 Uhr