Kunst

«Begeistert von der Dichte»

Interview
Michael Hunziker

Mara Miccichè und Marco Mercuzio Peron.

Das Künstler*innen-Dou MADAM, Mara Miccichè und Marco Mercuzio Peron, hat während der letzten zwei Jahre in Baden gearbeitet und ein Residenzprogramm kuratiert. Während einer Woche feiert das Projekt Meehrbaden seinen Abschluss, an dem verschiedene Positionen (wieder) zu entdecken sind. Wir sprachen mit den beiden über ihren Gastaufenthalt und werfen ein Streiflicht auf die Kunstevents.

Seid ihr beide zu Wassermenschen geworden in den letzten zwei Jahren?

Mara Miccichè (MM): (Lacht) Ich bin wirklich noch mehr zum Wassermenschen geworden, als ich schon war. Ich bin im Limmattal als Kind süditaliensicher Eltern aufgewachsen – Wasser und Meer waren also immer wichtige Aspekte in meinem Leben. Es war aber das erste kuratorische Projekt mit Fokus auf Wasser.

Marco Mercuzio Peron (MP): Ich hatte zwar schon thematisch zu Wasser gearbeitet. Bisher aber nie im Kontext von Gesundheit und Thermen und auch nie so historisch. Es war enorm, was wir hier in den letzten zwei Jahren gelernt haben.

Was habt Ihr bei eurer Recherche alles entdeckt?

MM: Was mir nicht bewusst war, wie weit die Bade-Kultur in Baden zurückgeht und wie sie über viele verschiedene historische, gesellschaftliche und politische Ebenen Leute nach Baden gebracht hat. Wir haben Gespräche mit der Archäologin Andrea Schär geführt, die die Ausgrabungen hier während 17 Jahren geleitet hat. Wir erfuhren beispielsweise, dass die Bäder ein erster Safe Space für Frauen waren; dann die Legenden um die Fertilitätsteigerung des Thermalwassers, oder dass Baden als Porto Franco auch vielen politisch Verfolgten ein Exil bot. Die thematische Dichte hat uns immer wieder überrascht, wenn wir uns mit verschiedenen Akteur*innen, wie den Menschen der Bagni Popolari oder des historischen Museums ausgetauscht hatten. Andauernd wurden wir kuratorisch getriggert, im positiven Sinn.

Ihr seid beide Musiker*innen. Wie hat euch das bei dem Projekt beeinflusst?

MP: Wir kommen zwar von der Musik her, sehen uns aber als Soundkünstler*innen. Das Kuratieren und die Soundkunst haben schon Parallelen. In beiden Feldern arbeiten wir mit Layers, mit Schichten. Was wir in Baden vorgefunden haben, sind viele historische und thematische Layers, die sich überlappen. Das ist auch bildlich und ganz konkret zu se hen, etwa bei den archäologischen Bildern von den Ausgrabungen. Geschichtslayers, die sich in geologischen Layers ablesen lassen.

MM: Wenn wir mit elektronischen Sounds arbeiten, kreieren wir auch Layers. Nur ging es nun nicht ums Kreieren, sondern ums Entdecken.

Euer Projekt bezeichnet ihr auch als Future Heritage. Was versteht Ihr darunter?

MM: Wir waren von der reichen Vergangenheit überwältigt. Wir erkannten dieses riesige kulturelle Erbe und dachten uns, dass wir das in einem partizipativen Prozess mit verschiedenen Künstler*innen im Austausch mit Bürger*innen vergegenwärtigen und in die Zukunft führen könnten, so dass die künstlerischen Interventionen ein zukünftiges Erbe mitgestalten können.

Ihr habt verschiedene internationale Künstler*innen zu Residenzen nach Baden eingeladen. Mit welchem Ziel?

MP: Unsere Idee war, Künstler*innen von überall her mit unseren Recherchen zu füttern, sie mit den lokalen Akteur*innen und Institutionen in Verbindung zu bringen und in einen offenen gemeinsamen Prozess einzusteigen, in der Hoffnung, dass sich etwas entwickelt, das dann hier bleibt. MM: Wir wollten, dass die eingeladenen Künstler*innen mit den Menschen, die ja die Träger*innen dieses Kulturerbes sind, in einen Austausch gehen, diesen reflektieren und in der eigenen Praxis zu etwas Neuem hinführen, was man dann physisch hier lassen kann. Zum Beispiel hat Carla Boregas eine Komposition geschaffen, die sie aus Aufnahmen mit Hydrophones in den Thermalquellen entwickelte. Die ist nun auf Vinyl gepresst und wird als Donation dem Historischen Museum übergeben. Wir wollten nicht einfach Werke ausstellen, sondern den Künstler*innen genug Zeit lassen, damit sich Gedanken, ein Austausch, ein Rhythmus entfalten können, auch in Bezug auf die generelle Frage, was ist ein Kur-Ort heute und wie kann man ihn mit einer künstlerischen Praxis verbinden.

Durch diesen Ansatz wird das Projekt ja auch in die Ferne getragen. Welche Resonanzen habt ihr von ausserhalb erhalten?

MM: Alle Künstler*innen, die hier waren, waren begeistert von dieser Dichte. Und wir haben auch Anfragen bekommen von Künstler*innen, die über andere Künstler*innen oder über unser Netzwerk auf das Programm aufmerksam geworden sind. Wir hätten also noch eine Vielzahl weiterer spannender Ideen und Menschen gehabt, die wir gerne eingeladen hätten, aber leider fehlte die Zeit und das Budget.

Was macht ihr, wenn im September das Projekt zu Ende ist?

MP: Neben ein paar persönlichen und künstlerischen Arbeiten, die wir wegen Meehrbaden aufgeschoben haben, werden wir weiter kuratorisch arbeiten, zum Beispiel in der Weiterführung unserer bestehenden Serie «Il Circolo del Frattempo» . Wir wurden in der Zwischenzeit von einem regionalen Akteur angefragt, nächstes Jahr etwas zu kuratieren. Aber die Details stehen noch nicht fest, daher kann ich nichts weiter dazu sagen.

ZU MADAM

Marco Mercuzio Peron (1984) ist Kurator, Komponist und Musiker aus Mailand, der seit 2017 in Zürich lebt. Als küstlerischer Leiter kuratierte er transdisziplinäre Festivals wie u.a. das Elita Festival Milano, Red Bull Culture Clash und Video Sound Art.

Mara Miccichè (1985) ist eine in Zürich lebende Musikerin, Kuratorin, und Klangkünstlerin. Im 2015 co-gründete sie das Label für experimentelle elektronische Musik – OUS, veranstaltete mit der Plattform MADAM verschiedene transdisziplinäre Happenings und Residenzen und kuratierte das Video Sound Art Festival Milano mit.

Terry und Gyan Riley haben gemeinsam ein Stück für die Neue Kurkapelle Baden komponiert.

Neue Musik für die Neue Kurkapelle

Kur und Musik, zwei unbestritten heilsame Kräfte, treffen in «Cascade» aufeinander. Die beiden Komponisten und Musiker Gyan und Terry Riley haben auf Einladung eigens für Baden eine Komposition erstellt, die in Zusammenarbeit mit der Neuen Kurkappelle Baden unter der Leitung von Jonas Ehrler gespielt wird. Terry Riley gilt als einer der Erfinder der Minimal Music. Der 89-jährige Pianist und Improvisationskünstler aus Kalifornien lebt in Japan und hat aus der geografischen Ferne im Dialog mit seinem Sohn Gyan, der für das Stück im Austausch mit Jonas Ehrler recherchiert hatte, die Musik entwickelt. An den beiden Konzerten wird Gyan zusammen mit dem Kammerorchester das Ergebnis seiner Residenz zum Besten geben. mh

BADEN Werkk / Alte Schmiede, Do / Fr, 12. und 13. September, 20 Uhr

Margaux Schwabs kulinarische Kunst berührt alle Sinne.

Sinnliche Tafel

Ein Aspekt des kulturellen Erbes von Baden mit seiner Kurtradition ist bestimmt die Gastfreundschaft, und damit öffnen sich die Toren in die sinnlich-kulinarische Welt von Margaux Schwab. Die Kuratorin und Gründerin von foodculture days (Vevey) wird im Rahmen einer interaktiven Installation in Resonanz mit lokalen Produzent*innen zu einer grossen Tafel laden – mit ihrer «Liquid Bar», die das Kurtheater und den gemeinschaftlichen Römergarten im Kurpark verbindet, wird sie ihre Recherchen präsentieren. Sie sind das Ergebnis von zwei Residenzzyklen, in denen sie Vorstellungen von Gastfreundschaft, von Kultivierung und die Verbindung zum Territorium erforscht hat. Dabei fasst sie Essen als nahrhaftes, ideologisches, konzeptionelles und diskursives Material auf, das sich in Disziplinen wie Gartenbau, Geschichtswissenschaft, Architektur, Philosophie bis hin zur Künstlichen Intelligenz niederschlägt. mh

BADEN Kurtheater, Sa, 14.September, 15 bis 18 Uhr

Carla Boregas hat ihre Sensoren tief in die Brunnen getaucht.

Geheime Klänge

Eine ganz eigene Symphonie spielen die alten Thermalquellen von Baden. Bereits seit Jahrhunderten. Die brasilianischen Soundkünstlerin Carla Boregas hat ihre Mikrophone in die Tiefen der Quellen eingetaucht und die Harmonien des Schwefelwassers aufgezeichnet und arrangiert. Zusammen mit Patrick Kessler lässt sie die Sprudelharmonie der tiefen Quellen in der Klanginstallation «NASCENTE» ertönen. Mithilfe der Lautsprecher des illustren Chuchchepati Orchestras werden die nie gehörten, aber stets gegenwärtigen Geräusche der Thermalquellen für einmal für uns auditiv erfahrbar. mh

BADEN Badstrasse «Unter den Rosskastanien», 8. bis 13.September (Klanginstallation)
BADEN Bad zum Raben, Sa, 14.September, 20 Uhr (Konzert)

Das Residenzprogramm "Meehrbaden" ist Teil des Projekts Bäderkultur Baden, welches das kulturhistorische Erbe der Bäder von Baden mit kunstvollen Projekten für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich machen möchte. baederkultur.ch