Die Eva-Seck-Kolumne
Ich beobachte die Mücken, wie sie in der Thermik über den Hausdächern auf und ab gaukeln, jemand wischt den Vorplatz mit diesem vertrauten, wiederkehrenden Geräusch und vom anderen Häuserblock weht Baustellenlärm herüber, ein langes monotones Bohren. Die Morgensonne scheint durch die schmutzigen Fenster, Frühjahrsputz steht an und ich schiebe ihn erneut auf nächste Woche, obwohl eine leise Stimme in mir warnt, ich werde noch in meinem eigenen Müll, den ich über die Jahre angesammelt habe, ersticken. Die Tulpen, die ich mir zur Ablenkung gekauft habe, haben endlich ihre Kelche aufgespreizt, ausser den zwei gelben. Sie weigern sich und werden sicherlich die ersten sein, die ihre Köpfe hängen lassen. Ich atme tief ein. Alles so schön friedlich. Für einen kurzen Moment vergesse ich, dass die Fassade bröckelt und die Fensterläden so sehr lottern, dass sie bei jedem Windstoss gegen die Scheiben knallen und ich jeden Morgen Scherben aufwische. Im Treppenhaus werden die Risse in den Wänden grösser. Ich beschuldige meinen Nachbarn, weil der so oft ein- und ausgeht und jeder Tritt auf den knarzenden Stufen die Risse in der Wand vergrössert. Er müsse halt dreimal in der Woche in die Psychoanalyse, verteidigt er sich, als ich ihn darauf anspreche, und eine solche würde er mir dringend ebenfalls empfehlen, das Verdrängte springe mir nur so aus dem Gesicht. Ich knalle die Tür zu, ein Stück Verputz löst sich, schlägt auf, ich bin mir nicht sicher, hat es ihn getroffen oder nicht, aber gleich darauf höre ich seine überschlagende Stimme: Don’t shoot the messenger! Erbost schaue ich hinüber zu den Tulpen. Die gelben Blüten hängen schon.
Eva Seck (*1985 in Rheinfelden) schreibt Lyrik, Prosa und essayistische Texte. Ihr letzter Gedichtband «versickerungen » erschien 2022 im Verlag «die brotsuppe» in Biel. Sie lebt mit ihrer Familie in Basel.